Mit Doris Dörrie reisen

Diogenes Verlag
Diogenes Verlag
Foto: Rainer Sturm/ pixelio.de
Wie fühlen sich Sonntage in Demmin an? Wie ein Bad in lauwarmem Wasser. Eine gelungene und kreative Art, Langeweile zu beschreiben.
Demmin ist eine Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern. In den Tagen vom 30. April bis 3. Mai 1945 begingen dort, angesichts des Einmarsches der roten Armee, tausende Menschen in dem kleinen Fluss Peene Suizid. Sie ertränkten in ihrer Not ihre Kinder und nahmen sich anschließend selbst das Leben. Und das diese grausamen Ereignisse prägen, zeigt die Autorin in winzigen Flashbacks auf. Eine alte Frau erinnert sich beim Aussortieren ihrer Sachen an diese Zeit und wie sie sie erlebt und überlebt hat.
Verena Kessler, Jahrgang 1988, versteht es, Gefühle zu transportieren. Sei es aus Sicht ihrer jungen Protagonisten, oder erzählt in der dritten Person, über eine alte Frau. Sehr bemerkenswert, wie ich finde und sehr mutig, sich als junger Mensch in diesen Lebensabend einzufühlen.
Larissa, genannt Larry, ist ein nach außen hin ziemich cooles und taffes Mädchen. Trotzdem spürt man, wie einsam sie ist, wie verloren und ja, wie besonders. Ihr Traum ist es, nicht einfach Journalistin zu werden, sondern Kriegsreporterin. Dafür „trainiert“ sie. Aber nicht so, wie man denken könnte, sondern sie probt Ausnahmesituationen, wie die Hände möglichst lange in eiskaltem Wasser halten oder wie es sich anfühlt, die Foltermethode „Wasserboarding“ (die sie an einem Freund ausprobiert), oder einen auf dem Eis festgefrorenen Schwan zu retten. Larry hat leicht morbide Züge und hilft nebenbei auch auf dem Friedhof aus. Dort liegt sie in einem freigeschaufelten Grab schon mal Probe. Alles, um in echt zu spüren, wie etwas schmerzt. Um vom eigenen Schmerz abzulenken. Ihre Mutter kümmert sich so gut wie gar nicht um ihre Tochter und ihr Vater lebt getrennt von der Familie und ist als LKW-Fahrer auf den Fernstraßen zuhause. Irgendwann haut sie ab, zu ihrem Vater, und flieht unterwegs, hängt sich wie eine Fledermaus an eine Brücke und wird gerettet.
Es geht aber auch um Freundschaft, um Liebe, um die ganz eigenen Probleme der verschiedenen Generationen. Es geht auch um Larrys verstorbenen Bruder, um Trauer, Schuld, um Mut.
Und es geht um die alte Frau, die Nachbarin von Laryy, die sich nur flüchtig kennen und die vor einem Umzug ins Seniorenheim steht. Die reflektiert, beobachtet, erinnert und sich entscheidet.
Alles in allem ein sehr außergewöhnliches Buch. Ein Buch, das man nicht so schnell vergisst. Etwas Ähnliches ist mir nie in die Finger gekommen und durch meine Finger sind schon tausende Buchseiten geglitten 😉 Außerdem finde ich das Cover auch sehr gelungen und ansprechend!
„Die Gespenster von Demmin“, sind die Erinnerungen, ist die grausame Zeitgeschichte, sind aber auch zwei Mädchen, Larrry und ihrer Freundin Sarina.
Ob jetzt der syrische Flüchtling unbedingt noch in die Geschichte eingebunden werden musste, sei dahingestellt. Mir erschien es als zu überfrachtet. Auch einige Klischees fielen mir auf in der Beschreibung der alten Frau, aber das sind nur Kleinigkeiten und wurden durch die absolut glaubwürdige und toll beschriebene Coolness und Authentizität der Hauptfigur wieder wett gemacht.
Ich danke dem Hanser Berlin Verlag für die Zusendung des Lese-Exemplars und die nette Karte dazu!
www.hanserliteraturverlage.de
facebook: Sine Poesiedler
Hanser Verlag
So lautet der Originaltitel des außergewöhnlichen Buches von Ocean Vuong.
Auf Erden sind wir kurz grandios
Roman. Hanser Verlag, 2019.
240 Seiten
ISBN : 978-3-446-26389-5
€ 22,00 (D)
Ich bin gerade vertieft in ein ganz besonderes Buch. Besonders und außergewöhnlich wegen der wunderschönen poetischen Sprache. Wer nun aber meint, es handle sich um ein seichtes Buch, der täuscht sich.
Ocean Vuongs Buch „Auf Erden sind wir kurz grandios“ ist ein Briefroman.
Eindringlich wird die Zerrissenheit des Erzählers beschrieben. Es geht um seine Mutter, seine Großmutter, seine Kindheit. Es ist eine Migrationsgeschichte, eine Coming-Out-Geschichte, ein Stück Amerika, ein Stück Vietnam.
Man muss sich zwar erst ein wenig einlesen, sich an den Stil und die Namen gewöhnen, aber dann offenbart sich eine Geschichte, die tief berührt. Die wehtut, über die man aber auch lächeln mus, über die man nachdenkt.
Wirklich richtig toll übersetzt von Anne-Kristin Mittag. Ich kann das immer nur bewundern, wie man in fremden Sprachen so ein Kunstwerk übersetzen kann und die Poesie so getroffen einsetzt. Tolle Leistung!
Als besondere, wunderschöne Zugabe vom Hanser Verlag gibt es hier den Link für die vom Autoren zusammengestellte Playlist zum Buch bei Spotify:
On earth we are briefly georgeous. Einfach nur toll!
https://open.spotify.com/playlist/2DCMMVnglCdpScBeee42CI…
Viel Vergnügen!
Also ich bin somit gerade nicht hier, sondern in Amerika bei Lan und Rose.
Foto: wolla2 / Pixelio.de
Ich lese gerade von Ocean Vuong:
„Auf Erden sind wir kurz grandios“.
Der Hanser Verlag hat mir dieses besonders schöne Buch freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Und ich muss sagen: Das Buch IST grandios. Und das nicht nur kurz. Ich genieße es. Bald mehr dazu.
Kennt Ihr noch das Gefühl, wenn man auf dem Spielplatz schaukelt und am höchsten Punkt aus der Schaukel springt? Dieses Gefühl in der Luft?
Oder als Ihr Euch auf der Turnstange festgehalten habt und dann vorwärts habt herunterfallen lassen und eure Haare schwenkten im Sand?
Das Kribbeln im Bauch, ganz oben auf dem Klettergerüst zu stehen?
Die Momente auf der Rutsche, bis ihr dann unten angekommen wart? „Nochmal, nochmal“. Und genauso geht es einem manchmal beim Lesen eines besonderen Buches. Das Genießen eines einzelnen tollen Satzes, die Erkenntnis etwas Besonderem.
Das ist so schön und mit Worten kaum zu beschreiben.
Und so geht es mir gerade beim Lesen dieses Buches. Ich bewundere die Sprache!
Deshalb: schaukelt oder lest. Vielleicht habt Ihr ja sogar einen Schaukel-Lesestuhl!
fand ich zwischen Brötchen, Croissants und Käsegebäck ein leckeres Wort:
Foto: Petra Bork / pixelio.de
HASSELBASSEL.
Ich fand es eigentlich nicht, es wurde mir geschenkt.
Die freundliche Bäckereifachverkäuferin wollte mir statt der Tüte ihren Schreibblock überreichen. Ich freute mich schon, hatte ich doch so viele Wörter und Bilder noch aus der letzten Nacht im Kopf, in der ich von Gent träumte.
Die Verkäuferin entschuldigte sich ob des Versehens und reichte mir dann doch die Tüte mit dem Brötchen und meinte, das käme davon, wenn sie alles im Hasselbassel mache, und lachte.
Ich nickte, bedankte mich, nahm die Tüte und das Hasselbassel-Wort, lächelte und zog in den Tag.
Foto: Sandra Neumann /PIXELIO.de
Gestern bekam ich zum Jahreswechsel eine Nachricht von meiner Freundin per Whats app.
„Alle guten Wünsche zum neuen Jahr. Ich habe dir eine Kiste gepackt, ich habe dir alles was du brauchst dort hinein getan. Nimm dir, was du brauchst.“
Ich öffne zaghaft die Kiste. Ich könnte alles gebrauchen, aber ich möchte nicht unverschämt sein. So nehme ich mir den Mut aus der Kiste, das Selbstvertrauen. Auch die Gesundheit klemme ich mir unter den Arm.
Glück und Liebe sind noch da und ich entscheide mich, von beidem etwas abzuzupfen.
Vermögen, Erfolg und Selbstbewusstsein liegen auch noch sehr verführerisch in der Kiste. Auch die Sparsamkeit glitzert. Ich verzichte erst einmal und überlasse auch noch anderen Freundinnen und Freunden etwas. Vom Glück und von der Liebe ist auch noch reichlich vorhanden.
Und von meinen Geschenken meiner Freundin verteile ich gern noch etwas weiter. An euch!
Wer das liest, besitzt schon etwas aus der wundervollen Schatzkiste.
Alles Liebe und Gute wünsche ich Euch für das neue Jahr und dass Ihr noch ganz viel aus der Kiste brauchen könnt.
Diogenes Verlag, 2019
288 Seiten, 22 €
Fünf Frauen: Paula, Jorinde, Brida, Judith, Malika.
Leipzig. Fünf Frauen in der Mitte des Lebens. Fünf ganz besondere Persönlichkeiten verwoben und verstrickt in Affären, Ehe- oder Beziehungsproblemen. In Sinn- und Moralfragen. Alle schleppen Altgepäck aus ihrer Kindheit und Jugend mit sich herum. Alle haben Erfahrungen in der Liebe.
Was bedeutet es Mutter zu sein? Und was bedeutet es, keine Kinder zu haben, aber welche zu wollen?Oder welchen Preis bezahlt man dafür, sich selbst verwirklichen zu wollen? Oder für eine Entscheidung?
Erst dachte ich, die Themen seien abgedroschen. Auch alle Namen im Buch kommen einem so unecht vor. So, als hätte die Autorin in einem Vornamenbuch geblättert und die schönsten herausgesucht. Man hat kein Gesicht zu den Namen, weil man fast niemanden mit diesen Namen kennt (außer Judith und Paula und vielleicht bin ich auch einfach zu alt, um diese Namen zu kennen). Oder kennt jemand eine Frau die tatsächlich Xandrine heißt?)
Aber das macht nichts. Die Figuren überzeugen durch den sehr präzisen Blick der Autorin. Besonders gelungen fand ich auch die Struktur des Romans und dass die Protagonistinnen alle miteinander verbunden waren. Entweder als Freundinnen, oder verwandtschaftlich. Daniela Krien verbindet geschickt ihre Schicksale. Ihre Probleme und Sorgen, ihren Alltag, ihre Vorlieben und Leidenschaften waren sehr gut getroffen.
Ein tolles Buch, das mir sehr gefallen hat. Ein Buch das berührt und das man nicht so schnell vergisst
Vielen Dank an den Diogenes Verlag für die Zusendung des Rezensions-epubs.
Schöffling & Co. Verlag
Damit beginnt nämlich mein innerliches Kino. Und das ist kein romantisches Kuschel-Kopfkino.
Mir fällt dazu nur das tränensäckische Bild von Martin Luther ein oder eines von Fred Fußbroich, falls den noch jemand kennt.
Was ich auch überhaupt gar nicht leiden kann, wenn Bücher nicht authentisch sind. Was ich damit meine?
Wenn der Autor einen bemüht gehobenen Humor anspielt, der aber nicht rüberkommt. Oder wenn der Autor oder die Autorin extra Besserwissereien oder akademisches Wissen in eine ansonsten eher seichten Geschichte einfließen lässt, um den Text damit aufwerten zu wollen.
So wird in diesem Geschichtchen der großartige Paul Nizon in einer Textpassage erwähnt. Oder Rilke. Es kommt einem als Leser so vor, als wolle die Autorin unbedingt beweisen, wie belesen und wissend sie sei. Das Geschichtlein, das in Utrecht spielen soll, aber ehrlich gesagt auch in jeder anderen großen Stadt in den Niederlanden spielen könnte, ist schnell erzählt.
Eine junge Frau haut ab. Sie trennte sich von ihrem Freund und kommt in Utrecht an. Arbeitet in einem Café, trällert Lieder unter der Dusche, verliebt sich in den lutherischen Jüngling und fühlt sich alt dabei.
Im Text, was ganz nett ist, viele holländische Wörter und Redensarten, die stets von Frau Trompeter erklärt, übersetzt und kommentiert. werden. In der Story so gar keine Handlung. Aber wirklich gar keine. Alles was spannend oder interessant werden könnte, die Chance wird vertan und abgemurkst, weil die Autorin ja ach so taff schreiben möchte.
Die Figuren sind blass. Thijs, der lutherische Jüngling, auf mal verreist und taucht nicht wieder auf, dafür ein mystischer Bassett-Hund, der von Klara später ins Tierheim abgegeben wird. Na toll! Dazu ein ebenso mystisches Ende der unendlichen Blabla-Geschichte:
In einer BAHNHOFSBUCHHANDLUNG findet Klara eine englischsprachige Ausgabe ausgerechnet von Rainer Maria Rilke (haha) und auf einer x-beliebigen Seite findet sie dann den Schlüssel zu ihrem Leben und handelt danach.:Sie fährt zuzrück nach Utrecht. Warum? Keine Ahnung! Das Rilke-Zitat wird leider nicht aus dem Englischen übersetzt und man muss es sich selber zusammenreimen. Plötzlich ist der Leser mündig und ihm wird zugetraut, englische Rilke-Zitate aus dem eff-eff zu übersetzen, aber zu Beginn des Buches wird er total unterschätzt und jedes noch so einfach zu verstehende niederländische Wort übersetzt.
Der Leser bleibt also blöde am Bahnsteig zurück und rechnet seine verlorenen Lebensstunden nach, die er mit diesem unnützen Buch verbracht hat.
Etwas Gutes lasse ich dem Roman: er besitzt ein wunderbares oranje Cover!
Also ich kann abschließend nur sagen, ähnlich, wie es ein Zitat von Robert Walser auf der ersten Seite von Trompeters Buch hergibt:
Davon zuversichtlich NICHTS mehr!