Verena Keßler
Die Gespenster von Demmin
240 Seiten
ISBN : 978-3-446-26784-8
€ 22,00 (D)
Hanser Verlag
Die Gespenster von Demmin
Wie fühlen sich Sonntage in Demmin an? Wie ein Bad in lauwarmem Wasser. Eine gelungene und kreative Art, Langeweile zu beschreiben.
Demmin ist eine Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern. In den Tagen vom 30. April bis 3. Mai 1945 begingen dort, angesichts des Einmarsches der roten Armee, tausende Menschen in dem kleinen Fluss Peene Suizid. Sie ertränkten in ihrer Not ihre Kinder und nahmen sich anschließend selbst das Leben. Und das diese grausamen Ereignisse prägen, zeigt die Autorin in winzigen Flashbacks auf. Eine alte Frau erinnert sich beim Aussortieren ihrer Sachen an diese Zeit und wie sie sie erlebt und überlebt hat.
Verena Kessler, Jahrgang 1988, versteht es, Gefühle zu transportieren. Sei es aus Sicht ihrer jungen Protagonisten, oder erzählt in der dritten Person, über eine alte Frau. Sehr bemerkenswert, wie ich finde und sehr mutig, sich als junger Mensch in diesen Lebensabend einzufühlen.
Larissa, genannt Larry, ist ein nach außen hin ziemich cooles und taffes Mädchen. Trotzdem spürt man, wie einsam sie ist, wie verloren und ja, wie besonders. Ihr Traum ist es, nicht einfach Journalistin zu werden, sondern Kriegsreporterin. Dafür „trainiert“ sie. Aber nicht so, wie man denken könnte, sondern sie probt Ausnahmesituationen, wie die Hände möglichst lange in eiskaltem Wasser halten oder wie es sich anfühlt, die Foltermethode „Wasserboarding“ (die sie an einem Freund ausprobiert), oder einen auf dem Eis festgefrorenen Schwan zu retten. Larry hat leicht morbide Züge und hilft nebenbei auch auf dem Friedhof aus. Dort liegt sie in einem freigeschaufelten Grab schon mal Probe. Alles, um in echt zu spüren, wie etwas schmerzt. Um vom eigenen Schmerz abzulenken. Ihre Mutter kümmert sich so gut wie gar nicht um ihre Tochter und ihr Vater lebt getrennt von der Familie und ist als LKW-Fahrer auf den Fernstraßen zuhause. Irgendwann haut sie ab, zu ihrem Vater, und flieht unterwegs, hängt sich wie eine Fledermaus an eine Brücke und wird gerettet.
Es geht aber auch um Freundschaft, um Liebe, um die ganz eigenen Probleme der verschiedenen Generationen. Es geht auch um Larrys verstorbenen Bruder, um Trauer, Schuld, um Mut.
Und es geht um die alte Frau, die Nachbarin von Laryy, die sich nur flüchtig kennen und die vor einem Umzug ins Seniorenheim steht. Die reflektiert, beobachtet, erinnert und sich entscheidet.
Alles in allem ein sehr außergewöhnliches Buch. Ein Buch, das man nicht so schnell vergisst. Etwas Ähnliches ist mir nie in die Finger gekommen und durch meine Finger sind schon tausende Buchseiten geglitten 😉 Außerdem finde ich das Cover auch sehr gelungen und ansprechend!
„Die Gespenster von Demmin“, sind die Erinnerungen, ist die grausame Zeitgeschichte, sind aber auch zwei Mädchen, Larrry und ihrer Freundin Sarina.
Ob jetzt der syrische Flüchtling unbedingt noch in die Geschichte eingebunden werden musste, sei dahingestellt. Mir erschien es als zu überfrachtet. Auch einige Klischees fielen mir auf in der Beschreibung der alten Frau, aber das sind nur Kleinigkeiten und wurden durch die absolut glaubwürdige und toll beschriebene Coolness und Authentizität der Hauptfigur wieder wett gemacht.
Ich danke dem Hanser Berlin Verlag für die Zusendung des Lese-Exemplars und die nette Karte dazu!
www.hanserliteraturverlage.de
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