Author Archives: sine

So einer wie Kolateck

So einer wie Kolateck

Ganz anders als wir.

Martin Müller / PIXELIO.de

Klein, dick, dünne fettige Haare. Wurstfinger.

Statt einer Schultasche trug er immer eine Aktentasche bei sich. Braun und speckig. Alt sah er aus. Viel älter als wir. Von weitem wie ein Lehrer, mit seinem Seitenscheitel. Er stand immer abseits von allen.

In den Pausen wurde er mit Apfelkitschen beschmissen oder geschubst. Doch Kolateck störte das überhaupt nicht. Er lächelte nur und schüttelte nachsichtig den Kopf. Trotzdem hatte Kolateck was. Doch was, das konnte niemand richtig sagen. Vielleicht, weil er allen ein bißchen unheimlich war, mit seinem glasigen Blick und der ewig schweissnassen Stirn. Und doch suchte man manchmal seine Nähe. Dann, wenn man selbst auch mal am Rand stand, weil man jemanden verpetzt hatte oder nichts von seinen Süßigkeiten abgeben wollte. Dann ging man zu Kolateck und Kolateck verstand einen immer. Er fummelte dann mit seinen Wurstfingern aufgeweichte Bömse aus seinem Blouson oder zeigte einem ellenlange Wahrscheinlichkeitsberechnungen, die er aufgeschrieben hatte. Die Lehrer mochten Kolateck nicht. Weil er alles besser wußte und auch ganz einfach erklären konnte.

Dann war Kolateck eines Tages verschwunden. Es wurde viel geredet. Es wurde erzählt. Mal war er in der Psychiatrie gelandet, mal wurde er in der Stadt bei den Junkies gesehen. Er kam nie wieder. Aber manchmal denke ich immer noch an Kolateck, der so ganz anders war als wir.

© Sine

Früher Januarmorgen

Früher Januarmorgen

Früher Januarmorgen.

Die Nacht geht, der Morgen kommt.

Gerhard Haaken / PIXELIO.de

Traumlos noch die Wolken schlafen.

Die ersten Buchstaben finden sich,

formen Worte,

Strophen,

Sätze.

Ehe der Regen fällt,

die letzte Katze

die Nachtwanderung beendet,

ist das Blatt gefüllt.

Schlaf holt mich ein.

Stunden später:

Staunen über Nachtgedanken.

 

© by Sine

 

 

 

Love, Peace, Happiness

Love, Peace, Happiness

Ich wünsche meinen Leserinnen und Lesern ein glückliches neues Jahr!

Frieden, Gesundheit, Liebe, Zuversicht, Mut und Humor.

Ein Jahr voller Überraschungen, Kreativität, Leselust, Leseentdeckungen und die Erfüllung von Wünschen.

Sara Hegewald / PIXELIO

Was ich mir wünsche:

Dass ich vielleicht nächstes Jahr ein neues Buch veröffentlichen kann.

Und ein paar Kommentare in meinem Blog als Resonanz auf meine Texte. Darüber würde ich mich ehrlich freuen. Also los: schreibt mir!

Liebe Grüße von Eurer Poesiedlerin

Sine

Eisblumen

Eisblumen

 

Ich weiß es nicht, sagt er. Ich weiß es auch nicht, meint sie.

Hermann Meinold / PIXELIO.de

Schweigen.

Der Schnee fällt draußen laut. Das Wasser im Kessel noch heiß. Eisblumen am Fenster. Das Klicken seines Feuerzeuges lenkt ihren Blick auf seine Hände. Rau und rissig. Die Flocken vor dem Fenster bauschig. Sie dreht ein Bonbonpapier. Zieht dabei die Stirn kraus. So, als würde sie konzentriert arbeiten. Er raucht und schaut ins Irgendwo da draußen. Beide Hände auf dem Tisch. In der einen die Zigarette. Sie mag es nicht, wenn er drinnen raucht. Sagt es aber nicht.

Das Telefon könnte schellen. Tut es aber nicht. Es könnte jemand klingeln, auf Besuch kommen. Ein Kind könnte fallen, auf der Straße im Matsch. Ein Auto sich festfahren.

Schweigen. Laute Stille.

Ich weiß es nicht, sagt sie. Leise. Ich weiß es auch nicht, sagt er. Leise. Und steht auf. Leicht berührt seine warme Hand ihre Wange.

© Sine

Taellelyst

Taellelyst

Noch eine wunderbare Entdeckung:

Axel Hoffmann / PIXELIO.de

Historiker fanden in einem vergilbten Heft ein nie veröffentlichtes Märchen von Hans Christian Andersen:

„Die Talgkerze“. (Taellelyst)

Es soll eines der ersten Märchen des 1875 verstorbenen dänischen Schriftstellers sein. Esben Brage fand es in einem 190 Jahre alten Schreibheft im Regionalarchiv auf Fünen.

Das Märchen handelt von einer Kerze als lebendigem Wesen, die erst nach vielen Enttäuschungen am Ende ihren richtigen Platz im Leben findet. Nämlich dann, als ein Feuerzeug sie entzündet.

 

 

Entdeckungen

Entdeckungen

Eintragung aus Franz Kafkas Tagebuch, Fischer Verlag, ISBN 978-3-59618117-9.

© Marianne J / PIXELIO

7.11.1917:

Darauf kommt es an, wenn einem ein Schwert in die Seele schneidet: ruhig blicken, kein Blut verlieren, die Kälte des Schwertes mit der Kälte des Steines aufnehmen. Durch den Stich, nach dem Stich, unverwundbar werden.

Beobachtungen im Café

Beobachtungen im Café

An der Garderobe ist noch ein kleines Tischchen frei. Ich ziehe meine Jacke aus und schiebe das benutzte Geschirr zur Seite. Am Glas noch ein Lippenstiftrest.Magenta-Rot.Am Tisch nebenan zwei Rentner. Ganz langsam führen sie Gabeln mit winzigen Stückchen Torte zum Mund und nippen am Kaffee. Links von mir zwei Herren im Gespräch über Geld und Politik. Ich bestelle bei der netten Kellnerin, die trotz des Trubels noch ein echtes Lächeln auf den Lippen trägt. Der Cappuccino kommt auch bald und ich lehne mich zurück. Ein kleiner Junge läuft ausgelassen zwischen den Tischen hin und her und sein leicht überforderter Vater fängt ihn ein und setzt ihn sich auf den Schoß. Ein Mädchen und ein Opa gehören noch zu der Familie. Mit den Kaffeelöffeln spielen sie Mikado. Der Junge hat eine lustige, bunte Brille auf und das Mädchen trägt einen Zopf. Es ist älter als der Junge. Später dann kommen die Oma, die gar nicht wie eine Oma aussieht, und die Mutter vom Einkaufen zurück. Die Mutter setzt sich zu ihrer Familie an den Tisch. Der kleine Junge freut sich, das größere Mädchen hat einen Lolli im Mund und schaukelt auf dem Stuhl mit ihren Beinen. Sie schaut nicht auf die Mutter und auch nicht auf die Oma, die vor ihr steht, sondern nur auf die große Tüte, die diese dabei hat. Die Oma, mit dem modischen gegelten Kurzhaarschnitt und der roten Brille reicht freudestrahlend dem Mädchen die Tüte. Sie sagt etwas zu ihrer Enklelin, beugt sich zu ihr hinunter, umarmt sie, drückt ihr einen Kuss auf die Wange und wartet gespannt auf die Reaktion des Kindes.

Doch das Mädchen auf dem Stuhl lutscht weiter ihren Lolli und schaukelt gelangweilt mit ihren Beinen. Der Opa sagt was. Die Mutter sagt was. Der Vater, der Bruder. Ich kann nicht verstehen, was. Aber ich sehe, dass alle gespannt sind. Besonders die Oma, die nicht wie eine Oma aussieht, aber wie eine Oma ist. Wie wohl viele Omas sind: lieb. Das Mädchen hält nun mit der einen Hand den Lolli fest und mit der anderen zieht sie die bunte Tüte auseinander. Sie schaut kurz hinein und macht sie wieder zu. Sie schaukelt weiter mit den Beinen und lutscht gelangweilt an ihrem Lolli. Die Oma fragt etwas. Das Kind antwortet nicht. Die Oma nimmt die Tüte und zieht das, was darin ist, etwas heraus. Es ist eine große Puppe mit braunen Haaren , die in einen großen, vorne durchsichtigen Karton steckt. Das Mädchen schüttelt den Kopf und zeigt auf das Haar der Puppe. Die Oma redet weiter auf das Mädchen ein, doch es antwortet nicht. Die anderen am Tisch spielen jetzt mit dem Jungen, der Opa studiert die Speisekarte. Die Oma, die liebe, die gar nicht aussieht wie eine Oma, setzt sich. Unsere Blicke treffen sich. Nur ich sehe ihre Enttäuschung, ihre Traurigkeit.

Ringsum das Leben. Die Rentner essen, reden aber nicht. Die Herren am Nachbartisch diskutieren immer noch und die Familie ist ganz Familie.

Ich rufe die Kellnerin und bezahle. Beim Herausgehen aber sehe ich, wie der kleine Junge quietschend und voller Begeisterung die Verpackung aufreißt und die schöne Puppe mit den langen, braunen Haaren an sich drückt. Er küsst und küsst sie und lässt sie nicht mehr los.

©