Morgendämmerung. 4 Grad zeigt das Thermometer im Auto. Philipp Poisel im Radio und ich in Gedanken.
Montagmorgenträgheit.
Trotzdem schnell. Plötzlich sehe ich etwas Braunes aus den Augenwinkeln. Links, am Straßenrand. Da springt auch schon das Reh. Bremsleuchten vom roten Golf vor mir. Ein Knall.
Der Wagen fährt weiter. Das Reh springt nicht mehr. Es bleibt zuckend auf der Fahrbahn liegen. Ich bremse. Der Wagen vor mir hält. Niemand steigt aus. Stille. Die schwarzen Augen des Tiers geweitet. Helle Stippen im Fell. Der Brustkorb hebt und senkt sich. Hebt und senkt sich.
Warnblinken. Warndreieck.
Dann laufe ich zum roten Golf. Eine alte Frau steigt nun aus. Erschrocken. Sie zittert. Ihre Augen wie die des Rehs. Dunkel und ängstlich. Scherben überall. Ich ziehe die Frau zum Straßenrand. Tröste sie, umarme sie ab und zu. Schiebe sie auf den Beifahrersitz..Telefoniere.
Die Augen des Rehs dahinten gehen mir nicht aus dem Sinn. Ich würde gern seinen Kopf halten und ihm zuflüstern: „Alles nicht so schlimm“. Wie zu der alten Frau. Die hält aber gerade meine Hand. Ganz fest. Kalt ist uns beiden.
Dann kommt ein Mann. Er fuhr wohl hinter mir. Jäger. Er fragt nach einem Messer. Wozu ein Messer, denke ich, als ich die Antwort schon weiß.
Kein Messer da.
Da stirbt das Reh mit den dunklen Augen und den hellen Stippen im braunen Fell. Der Mann zieht es in den Straßengraben. Blut auf dem Asphalt. Die Frau weint.
Als ich viel später ins Auto steige, zeigt das Thermometer 6 Grad. Die Sonne geht auf und ich fahre weiter.