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Unfreundlichkeitstag

Unfreundlichkeitstag

Andreas Morlok / PIXELIO.de

Es gibt so Tage, da hat man nichts zu verschenken. Nicht mal ein Lächeln …

Sie nahm sich vor, sich heute einmal einen Tag des Unfreundlichseins zu gönnen. Kein Lächeln, kein Nachfragen, kein Winken, kein Vorfahrtgewähren.

Einfach eine sture Miene aufsetzen und den Tag vorüberziehen lassen.

Heute keine Montagmorgenaufmunterungs-SMS an die beste Freundin schicken. Und auch ja nicht im Auto zurückwinken, wenn der Nachbar freundlich grüßte. Überhaupt im Auto: der Typ da am Bordstein mit den hässlichen Schirm konnte ruhig noch etwas länger im Regen stehen bleiben. Der Autofahrer hinter ihr konnte ihn ja die Straße überqueren lassen.

 An der nächsten Ampel hatte sie schon ein schlechtes Gewissen. Aber das Gefühl wollte sie heute nicht zulassen. Also weiter. Im Geschäft das Danke und Bitte nicht erwidern und trotzdem das Brötchen mitnehmen, dass die freundliche Bäckereifachverkäuferin zusätzlich und unentgeltlich in die Tüte dazusteckte. Plus ein Lächeln. Sie konnte nicht anders: Sie bedankte sich und lächelte zurück.

Da hinten der Rentner, der mit seinem Rollator kaum durch die Ladentür kam: sie  wollte ihm nicht helfen, heute war schließlich Unfreundlichkeits-Tag. Nach ein paar Schritten drehte sie um und half, die Tür zu öffnen.

Jetzt aber. Also so richtig echt unfreundlich, wie es sich am Unfreundlichkeits-Tag gehörte, war sie immer noch nicht.

Sie zeigte jetzt  provokant dem neben ihr stehenden Autofahrer an der Ampel einen Vogel. Einfach so. Mal sehen, was passierte. Aber der guckte nur. Als sie ihm die Zunge herausstrecken wollte wurde es grün. Also wieder nichts.

Unterwegs öffnete sie das Autofenster und schmiss die alte rote Einkaufstüte heraus. So etwas hatte sie wirklich noch nie gemacht. Sie fühlte sich schlecht und ahnte, dass sie wohl auf dem Rückweg anhalten, und das Ding wieder einstecken würde.

Irgendwie wurde das nix, dachte sie. Irgendwie war es einfacher, einfach nett zu sein! Nett war eben nicht immer die kleine Schwester von…. ach, lassen wir das!

Aber abends an der Kasse des Supermarkts, als sie sich wieder gefangen hatte und der Unfreundlichkeits-Tag fast vorüber war: da kam´s raus:

Die Wut. Die Aggression. Das Brodeln im Bauch.

Da stand sie in der Schlange und stand und stand. Und als sie endlich ihre Einkäufe aufs Band legte, da wurde die zweite Kasse geöffnet. Na toll! Und ihr Vordermann, der hatte natürlich nicht genug Geld dabei und keine Karte, und die Quittungsrolle war sowieso leer und die Verkäuferin klingelte und es kam aber keine Kollegin und der Vordermann fuhr ihr mit seinem vollgepackten Einkaufswagen über den Fuß und ein Joghurt, der rote mit viel Frucht und wenig Joghurt, fiel vom Einkaufswagen auf ihren Schuh und platzte da und alle Laute guckten und sie wollte fluchen, aber so richtig.

SO RICHTIG! SO: ysskdjeufjjrtjjyyyset!!!

Doch was machte sie?

Sie lächelte!

In diesem Sinne:

Eure Sine ®

 

Die Klippen von Skye

Die Klippen von Skye

Kennst Du das?

Wenn der Himmel so tief hängt, dass man denkt, man könne ihn mit den Fingerspitzen berühren. Wenn die Luft ganz frisch ist und rundherum Ruhe ist und nichts als Ruhe.

Wenn man nichts weiter sehen kann, außer dem Weg, der vor einem liegt. Und man sehnt sich nach Grün, einfach nur nach Grün, Diesem ganz speziellen Grün. Man sehnt sich nach der Freiheit, einfach dorthin zu gehen, wo einem der Sinn steht. Nicht danach, wohin man gehen muß, oder dorthin, wohin das Geld gerade noch so langt oder da, wohin man gebucht hat. Nein, einfach weg ins Nirgendwo. Ganz ohne Gepäck, nur mit sich selbst. An die Klippen von Skye oder woanders.

Kennst Du das?

Der Reiter im Birkenwald

Der Reiter im Birkenwald

neurolle – Rolf / Pixelio.de

Immer, wenn sie vor dem Bild sitzt, ist es die gleiche Situation: sie muß warten…

Der Reiter, der auf einem weißen Pferd im Galopp  durch den Birkenwald reitet. Der sie über der Schulter hinweg anschaut. Der Boden ist schneebedeckt und der Reiter trägt einen langen, dunklen Mantel. Die Birken haben eine wunderschöne Maserung und das ist genau das, was im Vordergrund auszumachen ist. Das Bild strahlt selbst im Sommer Kühle aus. So manches Mal wünschte sie sich, sie säße auf diesem Pferd und nicht dort, wo nicht nur das Bild kühl ist, sondern auch der Flur, die Luft, die Atmosphäre, die Blicke.

Die Angst, die sie dort immer begleitet und hinterherjagt ist beklemmend. Wenn sie dann wieder hinausgeht und weiß, dass es für heute erst einmal gut ist und dass das Gute nur ein halbes Jahr hält oder länger, dann weiß sie, dass sie schneller war. Noch nicht eingeholt wurde. Sie schaut sich auch immer noch einmal nach dem Bild dort um. Wenn sie aus der Kabine kommt.

Als wüßte sie nicht ganz, ganz genau, wie es aussähe. Sie könnte es auch im Traum noch beschreiben. Nirgends hängt das Bild besser als da an der Wand in diesem merkwürdigen Licht.

Drückt es doch genau das aus, was vielleicht auch andere genau dort haben: Angst. Eingeholt zu werden. Dableiben zu müssen. Oder der kurze Augenblick des Triumphs, für eine Zeit noch einmal davongekommen zu sein.

Sie geht und schließt die Tür hinter sich. Läßt den Reiter im Birkenwald und tritt nach draußen. Sie atmet tief durch und steckt den neuen Terminzettel ganz hinten ins Portemonnaie.

Copyright: Sine

 

Sine in Münster

Sine in Münster

Sine liest am Samstag, den 18. Januar um

15.30 Uhr in der Vinothek am Theater in

Münster!

Meine Freundin und Autorin Sabine Gründken hat mich eingeladen, zusammen mit ihr ihr neues Buch:

„Reiselust naschen“

aus dem Sonderpunkt Verlag vorzustellen.

Sabine Gründken wir aus diesem wunderbaren, neuen Buch vorlesen und ich werde sie unterstützen, in dem ich auch mehrere meiner Storys präsentieren werde, in denen es ums Reisen geht.

Sonderpunkt Verlag Münster

Also seid dabei! Holt Euch Reiselust!

Vinothek am Theater

Neubrückenstr. 16

48143 Münster

Ich freue mich zusammen mit Sabine Gründken auf Euch!

Eure Sine

 

Zwischen den Jahren

Zwischen den Jahren

Zwischen den Jahren wäscht man keine Wäsche.

Zwischen den Jahren hängt man auch keine Wäsche auf. Das bringt Unglück. Sagt man. Alle Jahre wieder, zwischen den Jahren, findet eine Schallplattenbörse statt. Die bringt Glück. Sage ich.

Denn dort findet man alles. Schon vor dem Eingang kann man Fachsimpeleien zuhören:

180 Gramm Vinyl, Re-Issue,Englische Pressung, Japan-Pressung, Bootlegs, Limited Edition, Mint,  Ex, VG ++, – -.

Plus, Plus, minus minus.

Marianne J./ PIXELIO.de

Gesammelt wird alles. Verkauft auch. Die Herren sind eindeutig in der Überzahl und manchmal sieht man ihnen das Sammelgebiet schon an… Der Heavy Metaller ist eindeutig auszumachen, genauso der Vokuhila-Mann (mit gepflegter Langhaarfrisur, dauergewellt und einem akurat geschnittenem Pony und Schnäuzer), sowie der Beatles-Fan und die Modern Talking Fan-Frau. 70 Euro waren ihr nicht zuviel um ein paar Poster ,CD´s und Fanbücher zu ergattern.

Alt 68er, sowie Lehrer mit der unverkennbaren hellen Ledertasche neben Punks, Hippies mit Dreadlocks und Ökos. Ergraute Rock ´n Roll Eminenzen neben jungen Hip Hoppern die alle eines gemeinsam haben: Musik. Und zwar die echte auf dem Plattenteller in Vinyl!

John Lennon war auch da, ich habe ihn gesehen. Die Brille, die Haare, die Nase: unverkennbar. Yoko war aber nicht dabei 😉

Brillen werden auf den Kopf geschoben, um dann in Nahaufnahme den Zustand der Vinylscheiben im Licht zu bestimmen. Mint – Oder doch VG ++? Oder ganz egal, hauptsache gefunden, was in der Sammlung noch fehlt!

Wenn man dann seine Beute hat: Die orignial Rolling Stones „Aftermath“ von 1966 ,eine seltene Krautrockscheibe von 1971 oder Deep Purples „Made in Japan“ geht es in die Preisverhandlung:

„Was willste denn für die Stones haben?“

„Hmm. Is die Originalpressung von 66. In dem Zustand nur noch schwer zu kriegen. Muß ich schon 60 € für haben.“

Jetzt wird erst nochmal die Platte aus der Hülle gezogen. Ganz vorsichtig natürlich mit ganz spitzen Fingern und sehr kritisch begutachtet.

„Da sind aber doch ganz schön viele Hairlines drauf. Und das Label ist auch nicht mehr so ganz sauber…“

„Ey Alter, das is ja wohl voll normal. Die is Jahrgang 1966!“

„Aber das Cover ist auch schon etwas angestoßen. Für 45 nehme ich sie sofort:“

„Ja, klar. Wann auch sonst? Nee, gib mir nen Fuffi und dann is gut. Dann haste aber nen echten Schnapper gemacht“.

Ein zerknitterter Fuffi wird über den Tisch gereicht, die Stones-Platte wird vorsichtig in eine Stofftasche und dann in eine Plastiktüte gesteckt. Der Verkäufer zündet sich eine Zigarette an und der Käufer schlendert mit  einem zufriedenen Grinsen im Gesicht auf den nächsten Stand zu und sucht schon im nächsten Plattenstapel nach einer Rarität.

Zwischen den Jahren ist eine besondere Zeit. Eine Zeit des Suchens und des Findens.

Also:macht alles, was Euch glücklich macht. Nur keine Wäsche waschen und  Wäsche aufhängen zwischen den Jahren! Egal ob der Wäschezustand Mint Minus oder noch VG (Very good) ist: Im Januar gehts wieder weiter. Und zwar im Plus-Plus-Modus!

Copyright: Sine.

 

 

 

 

 

Aber mein Wellensittich liebt mich

Aber mein Wellensittich liebt mich

Kalt und zugig ist es auf dem Weihnachtsmarkt.

So gar nicht gemütlich. Einfach nur nass und regnerisch.

Katharina Wieland Müller/ PIXELIO.de

Mir kommt eine ältere Dame mit einem Trolley entgegen. Umständlich zieht sie das Wägelchen hinter sich her. Der Wind zerrt an ihrem Schirm. Ich versuche, ihr auszuweichen, doch da fährt sie mir schon über die Füße. Ich lache. Weil ja bald Weihnachten ist. Und weil die Frau einen lustigen Schirm hat. Mit lauter Elchen darauf.

Die alte Frau lacht. Bleibt stehen und einen kurzen Moment überlege ich, ob ich sie kenne. Aber ich bin mir dann sicher, dass ich sie nicht kenne. Doch die Frau stört das nicht. Sie erzählt, dass sie den Trolley von ihrem Sohn zu Muttertag geschenkt bekommen hat. Dass der Sohn in Seoul lebt. Dass er geschäfltich dort ist. Nur selten kommen kann. Dass er ihr aber immer Geld schicke für die Grabpflege ihres Mannes. Dass er so groß sei und ganz komisch aussehe mit seiner Baskenmütze. Auf einem Foto hat sie die gesehen. Und immer wieder beteuert sie, dass er schließlich sein Leben leben muß. Dabei glänzen ihre Augen ganz merkwürdig, obwohl sie lächelt.

Sie schaut an mir vorbei und ich setze an, weiterzugehen. Da sagt sie noch einmal, dass er sein Leben leben muß. Ich ahne, dass der Sohn dies wohl schließlich auch über Weihnachten in Seoul tun wird. Dass es ein einsames Weihnachten für sie als Mutter werden wird.

Ein Elch auf dem Schirm hat eine rote Nase. Ein dicker Regentropfen landet genau darauf.

„Aber“, sagt sie und legt mir ihre Hand auf dem Arm und lächelt, „aber mein Wellensittich, der liebt mich“.

Dann zieht sie den Schirm vor das Gesicht und geht mit ihrem Trolley weiter und ich bleibe zurück und denke an das Leben, das man leben muß. Zu Weihnachten und überhaupt!

® Sine

 

 

 

9.15 Uhr Station 1b

9.15 Uhr Station 1b

Er ist blass. Hohlwangig,hohläugig. Mager.

Aber er hat was. Der alte Mann, der sie fragt, ob der Stuhl im Wartebereich neben ihr noch frei sei. Der Trainigsanzug schlackert um seine Beine. Er riecht nach Badewasser und einem frischen Aftershave.

Leuchten in den Augen und ein Dialekt aus längst verschwundener Heimat.

Claudia Hautumm / PIXELIO.de

Sie hat ihn vorher noch nie auf der Station des Krankenhauses gesehen. Er lächelt selbst beim Sprechen. Erzählt, wie er dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen ist. Lächelt seine Angst einfach weg. Lungenembolie, sagt er. Lungenentzündung. Schmerzen im Rücken und überhaupt.

Seit 2009 pflege er seine Frau. Bettlägerig. Dement.

Eine Arzthelferin kommt und ruft Herrn Jeluschek auf. Er dreht sich noch einmal zu ihr um und wünscht einen schönen Tag. Lächelt sein Lächeln und er sieht jung aus und ein bisschen wie Hardy Krüger.

Um 9.25 Uhr setzt sich die Sonne durch den Nebel hindurch.Der triste, grüne Krankenhausflur erscheint heller als vorher. Sie wünscht sich und für Herrn Jeluschek nicht nur heute einen schönen Tag.

Lichtblicke im November.

Septembertage

Septembertage

An Tagen wie diesen, wenn der Himmel grau und der Regen nicht lange auf sich warten ließ, an Tagen wie diesen, war Gustav glücklich.

Donnerstags war er immer glücklich. Egal bei welchem Wetter.

Oliver Mohr / PIXELIO.de

Er zog sich seine Regenjacke über, steckte die Zigarrillos für Henny in die Tasche und verließ den Wohnbereich 2 des Altenheimes.

Draußen ging er vorbei am Kriegerdenkmal und vor der Kirche über die Ampel zum Lebensmittelmarkt. Er blickte durch die große Glastür in den Laden, doch als er Körtens Mia und Schlingmanns Sefa plauschend vor der Brottheke entdecke, beschloss er, sich ohne seine geliebten Kirschstreusel auf dem Weg zu machen. Unterwegs schaute er sich ein paar Mal um, ob ihm nicht die aufdringliche Körtens Mia folgte. Haare schwarz wie Pech und Augenbrauen wie Bremsspuren. Unglaublich schnell konnte sie sein, die Körtens Mia. Aber nur außerhalb ihrer Station im Heim und auch nur, wenn sie Gustav entdeckte. Den charmanten, grauhaarigen Gustav mit den buschigen Augenbrauen. Von Weitem rief sie dann:

„Chustav, Chustav, bliff doch moal stohn!“

Bei unter einer Stunde Stehenbleiben kam man bei ihr aber nicht weg. Gustav ließ sich nie aufhalten. Nicht von Körtens Mia. Nicht vom Rest der Welt. Nicht donnerstags. Er tastete in seiner Manteltasche nach den Puritos für Henny. Er kaufte sie immer in der 5er Box für 4 € 50: Romeo y Julieta No. 2.

Zwanzig Minuten konnte er sich dann daran ergötzen, wie Henny rauchte. Sie sah sinnlich aus damit. Ihr Blick in den Himmel und der Geruch des aromatischen Tabaks ließen ihre Treffen so besonders werden. Obwohl Henny einen Rollator benötige, so hatte sie doch einen stolzen, geraden Gang. Groß war sie und schlank und man ahnte, welch Dorfschönheit sie einst war. Ihr krauses, fast weißes Haar trug sie kinnlang und ihre blauen Augen waren wie der Himmel am Wasser des Prypjat. Der Fluss, an dem Gustav als Kind spielte. Vor der Flucht aus Wolhynien.

Klug war Henny außerdem und hätte man sie gefragt, was im Leben Zufall ist, so hätte sie sich nach einer Kastanie gebückt, sie auf die Straße geworfen, gewartet bis ein Auto darüber fährt und zurückgefragt: „Zufall?“

Mit Henny verging die Zeit langsam und trotzdem schnell.

Im Schatten der Pfarrkirche war das kleine Backhaus beleuchtet und Gustav freute sich schon auf den nächsten Krinkabend. Am alten Schlosshof, der früher eine Kneipe war und davor eine Pension, machte er eine kurze Pause. Gustavs Herz war nicht mehr das Beste. Er blieb stehen und schnaufte. Dann ging er langsamer weiter. Unter dem großen Saal des Schlosshofs war früher ein kleiner Blumenladen untergebracht. Dort hatte er immer samstags frische Nelken für seine Dorle gekauft.

Dorle war nun schon lange tot und der Blumenladen stand leer. Gustav genoss jetzt den Blick auf das Schloss vor ihm, das man von Weitem etwas sehen konnte. Ockergelb und elegant versteckte es sich hinter Bäumen und einem schmiedeeisernen Tor. Er liebte den Anblick. Gustav überquerte dann die Straße an dem hölzernen Wegekreuz und ging noch ein ganzes Stück. An einer Einmündung musste er noch einmal die Straßenseite wechseln. Er spazierte entlang der vielbefahrenen Straße und bog dann einen verborgenen Weg rechts ein, direkt in den Wald. Die Liese, ein kleiner Bach, begleitete ihn links und je näher er der uralten Eiche kam umso mehr klopfte sein Herz.

Wie jeden Donnerstag.

Wie jeden Donnerstag im Juli.

Wie jeden Donnerstag im August.

Wie jeden Donnerstag im September.

Um 17 Uhr.

An der Holzbrücke.

Bei der Eiche.

Henny.

Wenn er diesen unscheinbaren Weg einschlug, ließ er alles hinter sich. Das Dorf, das Altenheim, seine Sorgen, seinen Alltag.

Foto: Benedikt Brüggenthies

Gustav konnte schon die Blätter im Wind hören, die knorrige Eiche, die schon so lange dort stand. Er sah Henny von Weitem. Sie trug ihre blaue Jacke und ihre Haare wehten im Wind. Sie lehnte mit dem Rücken am Brückengeländer und stützte lässig ein Bein am Geländer ab. Ihren Rollator hatte sie neben der Bank stehen lassen.

Jung sah sie aus. Schön sah sie aus.

Ein dünner, kleiner  Mann mit Schirmmütze und einem Schäferhund an der Leine kreuzte sein Blickfeld. Er kam ihm auf dem schmalen Weg entgegen und blickte prüfend über seine Brille. Er grüßte und der Hund schnüffelte im Vorbeigehen an Gustavs Hosenbein. Ein kurzer Gruß und ein paar Worte über das Wetter, dann gingen sie auseinander. Endlich betrat er die Holzbrücke.

„Henny“, grüßte er.

„Gustav“, lächelte sie.

Er umarmte sie und roch den vergehenden Sommer in ihrem Haar.

„Ich habe Dir auch etwas mitgebracht. Schau“. Er griff in seine Manteltasche und nestelte umständlich die Zigarilloschachtel hervor. Henny öffnete die Verpackung sofort und roch mit geschlossenen Augen an den Positos.

Sie hakte sich bei Gustav unter und beide gingen zur Sitzbank. Henny zündete den Zigarillo an und wenn Gustav jemand gefragt hätte, wie Glück riecht, so hätte er gesagt, nach Romeo y Julieta No.2

Henny schaute in den Himmel und rauchte. Zwanzig Minuten sagten sie gar nichts.

Dann räusperte er sich und fragte leise: „Denkst du noch oft an Paul?“

Henny drückte den Zigarillostumpen auf dem Boden aus und suchte nach einem Hustenbonbon in ihrer Handtasche. Sie steckte es sich in den Mund und faltete das Bonbonpapier klein und kleiner, um es anschließend wieder aufzufalten.

„Ja. Paul hatte mein Versprechen und ich seines“.
Sie schwiegen. Nur das Blätterrauschen der uralten Eiche war zu hören. Gustav betrachtete Hennys Hände. Der rechte kleine Zeigefinger stand etwas krumm ab und auf ihren Handrücken entdeckte er Altersflecken. Die gepflegten Nägel ihrer Hände waren kurz geschnitten und er stellte sich vor, wie sich sein Gesicht in diese Wärme schmiegte. Zeit war nie unendlich.

Henny würde gleich aufstehen und gehen. Ihren Rollator und ihr Lächeln mitnehmen und ihn zurücklassen mit niemandes Wort, niemandes Versprechen. Sie würde dahin gehen, wo sie wohnte. Da, wo die beiden Bäume so nahe zusammenstanden, dass sie von Weitem aussahen, als wären sie ein Baum.

Und während er dies dachte, nahm Henny seine Hand in ihre Hand. Und während er vieles dachte und staunte, blies der Wind etwas stärker und die Blätter raschelten noch lauter. Und während er immer noch dachte, dass jetzt das Wetter umschlägt und die Zeit und der Regen kommt, da bemerkte er es:

Der matte, goldene Ring an ihrer linken Hand, den sie sonst immer noch trug, fehlte. Gustav schaute in Augen, die so blau waren wie der Himmel am Wasser des Prypjat. Er dachte an die zwei Bäume, die so aussahen wie nur einer und dann blickte er in den Himmel, der an Tagen wie diesen grau war. Der Regen ließ immer noch auf sich warten und dann sagte Gustav:

„Auch ich hatte Paul ein Versprechen gegeben. Als Paul ahnte, dass seine letzte Reise beginnt. Ich habe ihm versprochen, auf dich aufzupassen.“

Stille umfing sie. Seltsame Stille. Kein Rauschen der Blätter. Kein Wind. Leise setzte ein sanfter  Regen ein. Er fühlte, dass Hennys Hand noch immer in seiner lag.

Und als beide nach einer Weile aufstanden und sich auf den Weg machten, ließen sie sich auch da nicht los.

 

Copyright: Sine

Foto: Benedikt Brüggenthies

P.S.:

Auf der Seite: www.mein-wadersloh.de gibt es einen aktuellen Artikel über mich! Außerdem wird dort ein Buch „Finderglück“, in dem auch Texte von mir zu lesen sind, verlost!

„Montagskinder“ kann man wieder ab nächster Woche (28.10.2013) im Geschäft Wächter-Miele erwerben. Im Frühjahr erscheint mein neues Taschenbuch:“Streiflichter“. Der Veröffentlichungstermin wird rechtzeitig bekannt gegeben!

 

 

 

 

 

 

Henry the Blog-Monkey

Henry the Blog-Monkey

Henry habe ich am Sonntag auf dem Flohmarkt ergattert.

Er saß in einem Blumentopf und als die Verkäuferin sah, wie ich das Äffchen anschaute und das Äffchen mich, da meinte sie:

„Das ist Henry. Er kostet 3 Euro“.

Ich konnte es kaum glauben. So lädiert er auch ausschaute, Henry war eine Persönlichkeit. Ich untersuchte seine Arme und Beine, aus denen die Drähte herauslugten. Statt einer Nase war die blanke Holzwolle im Gesicht zu sehen. Die Frau erzählte, dass sechs Kinder im Laufe von Henrys Affenleben mit ihm gespielt hätten. Und das hinterließ Spuren.

Ich konnte gar nicht verstehen, dass man sich von solch besonderen  Familienerinnerungen trennt. Doch die Verkäuferin war entschlossen und so wohnt Henry jetzt bei mir und wird sicher öfter einmal in meinem Blog auftauchen!

Seinen ersten Ausflug hat er auch schon hinter sich!

 

 

Henry the Blog-Monkey