Immer, wenn sie vor dem Bild sitzt, ist es die gleiche Situation: sie muß warten…
Der Reiter, der auf einem weißen Pferd im Galopp durch den Birkenwald reitet. Der sie über der Schulter hinweg anschaut. Der Boden ist schneebedeckt und der Reiter trägt einen langen, dunklen Mantel. Die Birken haben eine wunderschöne Maserung und das ist genau das, was im Vordergrund auszumachen ist. Das Bild strahlt selbst im Sommer Kühle aus. So manches Mal wünschte sie sich, sie säße auf diesem Pferd und nicht dort, wo nicht nur das Bild kühl ist, sondern auch der Flur, die Luft, die Atmosphäre, die Blicke.
Die Angst, die sie dort immer begleitet und hinterherjagt ist beklemmend. Wenn sie dann wieder hinausgeht und weiß, dass es für heute erst einmal gut ist und dass das Gute nur ein halbes Jahr hält oder länger, dann weiß sie, dass sie schneller war. Noch nicht eingeholt wurde. Sie schaut sich auch immer noch einmal nach dem Bild dort um. Wenn sie aus der Kabine kommt.
Als wüßte sie nicht ganz, ganz genau, wie es aussähe. Sie könnte es auch im Traum noch beschreiben. Nirgends hängt das Bild besser als da an der Wand in diesem merkwürdigen Licht.
Drückt es doch genau das aus, was vielleicht auch andere genau dort haben: Angst. Eingeholt zu werden. Dableiben zu müssen. Oder der kurze Augenblick des Triumphs, für eine Zeit noch einmal davongekommen zu sein.
Sie geht und schließt die Tür hinter sich. Läßt den Reiter im Birkenwald und tritt nach draußen. Sie atmet tief durch und steckt den neuen Terminzettel ganz hinten ins Portemonnaie.
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