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Hochaktuell, brandneu

Hochaktuell, brandneu

Dieses Buch habe ich gerade gelesen:                                                                            

Cover: Ullstein Verlag

 

Lukas Rietzschel:

Mit der Faust in die Welt schlagen 

ISBN 978-3-550-05066-4.

Ullstein Verlag, 316 S. 20 €

Dieses im September 2018 erschienene Buch ist hochaktuell, gerade jetzt,  als die ostdeutsche Stadt Chemnitz für Schlagzeilen sorgte.

Im Roman von Lukas Rietzschel geht es um einen kleinen Ort in Ostdeutschland mit fünfhundert  Einwohnern und um zwei Brüder, die dort aufwachsen.  Das Buch ist in drei Teile aufgeteilt. Buch 1 das von 2000-2004 spielt, Buch 2 von 2004-2006 und Buch 3 von 2013- 2015.

Man bekommt die Entwicklung der beiden Geschwister hautnah zu spüren. Die Tristesse des Alltags, den Verfall der Heimat, die Lieblosigkeit. Viele Zwischenzeilen muss sich der Leser selbst ausfüllen und das ist auch gut so. Was weniger gut ist, dass im Roman nichts, aber auch wirklich gar nichts passiert, was den Protagonisten gut täte. Keinerlei schön erlebte Momente, was den Leser sehr belastet.

Das Buch ergreift durch die Kälte, das Nichtherauskommenkönnen der Figuren. Die Ferne der Eltern zu ihren Kindern, das Schweigen der Großeltern, die Zweckgemeinschaft der Freunde, die keine sind, die Oberflächlichkeit der Schule. Umso mehr berühren  die Beschreibungen.  Über allem die Vergangenheit der DDR, der Wende und das Danach.

Die beiden Brüder Tobias und Phillipp, die zwischen all dem Grau aufwachsen. Die nicht anders können als so zu werden wie sie werden. Die sich beide ganz verschieden entwickeln.  Das Buch ist allerdings nicht so geschrieben, dass man Verständnis für junge Nazis aufbringen könnte. Ganz und gar nicht. Aber es beschreibt, wie sich Hass entwickeln kann, zu was es führen kann, zu viel von den anderen zu erwarten und zu wenig von einem selber. Das Buch hat mich an einigen Stellen sehr berührt und  aufgewühlt. All der Hass, die Gewalt. Das Buch lässt einen nicht los. Es versucht die Frage zu beantworten, wie es zu einem so hohen Anteil an Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit kommen konnte.

„Als würde dich die ganze Zeit jemand fest umklammern, aber du willst das gar nicht. Du willst raus, aber kannst nicht. Und dann will ich auf alles einschlagen, richtig rein mit der Faust, bis alles blutet. Der ganze Mist, den einfach keiner rafft.“ (S. 293)

Das Buch fesselt von der ersten Seite. Trotzdem  war ich froh, wieder aus dem Buch, der Atmosphäre, die so gekonnt geschildert wird,  entfliehen zu können. Nach  316 Seiten wieder  gehen zu können, weil die Geschichte einem  doch sehr nahe geht.  Der erst 24 jährige Autor beschreibt  in einem kargen Stil. Manchmal waren mir zwar zu viel  Nagelhautbeschreibungen und Beton  enthalten, zu viel Wahrnehmung bezüglich der  äußerlichen Begebenheiten wie Gerüche oder das Wetter. Was als Stilmittel sehr gut wirkt, aber eben meines Erachtens von Rietzschel  zu oft eingesetzt wurde.

Fazit:  ein sehr wichtiges Buch in diesen Zeiten! Lesenswert, beeindruckend  und literarisch toll verarbeitet.