Monthly Archives: Mai 2012

Killefitt und Gedöns

Killefitt und Gedöns

Ich finde dieses Wort so schön: Killefitt. Und überhaupt: ich stehe auf Killefitt.

So Gedöns, so Kleinigkeiten, Stehrümchen. Der Trödelmarkt in Hamm ist so eine Fundgrube für Killefitt und Gedöns. Brauchen tut man es nicht. Aber das Stöbern, das Entdecken und später das Besitzen oder Benutzen ist so wunderbar. Meine Killefitt-Ausbeute gestern: wunderschöne uralte Blechknöpfe, Halstücher (nicht uralt, aber wunderschön) und anderes Gedöns. Bücher! Was ich mit den Knöpfen machen werde, weiß ich überhaupt noch nicht. Aber sie fassen sich so schön an und wer weiß, wozu ich sie einmal benötige. Und Halstücher kann man nie genug haben. Ein Weißes mit türkisen und lila Mustern habe ich noch nicht in meiner Sammlung. Und die ist groß.

Ich bin also niemals ohne Tuch und Buch.

Schnickschnack und Killefitt. Aber in schönen Farben, bitte schön.

Gerbrand Bakker in der Stiftsbuchhandlung

Gerbrand Bakker in der Stiftsbuchhandlung

Gerbrand Bakker las nicht nur: er zog alle in seinen Bann mit seiner offenen Art und seinem feinen Humor. Eine sehr interessante Persönlichkeit, der seinem Publikum locker gegenüber trat und es niemals überforderte, sondern immer zu Fragen ermunterte und gern erzählte.

Die Buchhandlung Maschmann bot den perfekten Rahmen, der einfach gut zum Autoren passte. Dieser nahm lässig auf einem Barhocker Platz und sprach über sein neues Buch und gab auch Besonderheiten preis, wie es zu einzelnen Passagen kam und was er in Wales, dem Ort der Handlung, erlebte. Dazu noch ganz unbescheiden der Hinweis von ihm : so ein Buch kann jeder schreiben …

Was natürlich niemals sein kann. Denn ein Bakker ist ein Bakker ist ein Bakker.

Diese Andeutungen und diese Zwischenzeilen und die „Luft“ im Buch, wie er es nannte, sind einfach einzigartig.

Besonders schön war natürlich auch die Erzählung über „Petra“, der ängstlichen, scheuen Buchhändlerkatze des Ehepaares Maschmann. Diese Kolumnen, die auch im Buch „Komische Vögel“ von Bakker veröffentlicht wurden, zeigen  seine hervorragene Beobachtungsgabe und seine Liebe zur Natur und den Tieren.

Ein sehr sympathischer Autor, sehr nette Gastgeber, eine wunderschöne Buchhandlung und Literatur, die zu Herzen geht: was will man mehr?

Dass Gerbrand Bakker noch sehr viele Bücher schreibt!

 

Coming out

Coming out

Ich lebe in einem Dorf. Ich weiß, wie so was sein kann. Da braucht man nicht homosexuell zu sein. Da reicht es, wenn jemand neu ist. Oder anders. Mehr nicht.
Heute gelesen:
Ein Dorfbäcker verkauft seine Brötchen nicht an einen Schwulen. 20 Jahre alt ist „der Schwule“. Bei der freiwilligen Feuerwehr engagiert. Engagiert bei der Landjugend. Rettungssanitäter von Beruf. Also einer, der viel tut. Für die Gemeinschaft. Den Mitmenschen. Auch im Dorf. Seine Eltern haben ihn zuhause rausgeschmissen. Nach seinem Coming out. Auch für sie nicht mehr der Sohn. Sondern „der Schwule“. Der Dorfbäcker und die anderen sagen: „Der ist schwul.“ Das muss wohl was Schlimmes sein? Jedenfalls so schlimm, dass man damit nichts zu tun haben will. Auch nicht mit dem eigenen Sohn. Der ist eben anders. Andersrum. Der versucht noch, Kontakt zu halten. Zu seinen Eltern. Im Dorf. Hinter der Grenze. Aber die Mutter spricht nur noch gelegentlich mit ihm. Das Dorf liegt hier ganz in der Nähe. Und doch so weit weg. Grenzgänger. Hoffentlich gibt es viele Grenzgänger. Die die Türen, die Grenzen offenhalten. Für den Mitmenschen. Egal, wie anders er ist.
Für ein Coming in!

Artikel im Blickpunk-Warendorf 20/2012Den Zeitungstext könnt Ihr nachlesen: Blickpunkt.
Ausgabe 20. Mai. Seite 2 www.blickpunkt-warendorf.de

Wenn Ihr den Artikel dort nicht findet, kann ich Euch auch gern eine Kopie per Email zusenden.
Bitte dafür einfach mein Kontaktformular benutzen.

Bob Dylan, Ernest Hemingway und die anderen

Bob Dylan, Ernest Hemingway und die anderen

Campino zum Beispiel. Lotti Huber, Anne Frank, Peter Stamm, Anselm Grün, Henning Scherf, Götz George, Ina Müller, Gerbrand Bakker, Albrecht Dürer, Auguste Rodin, Neo Rauch. Die hätte ich alle gern mal getroffen. Nicht alle zusammen. Schön einzeln.

In einem plüschigen Café bei Ovomaltine. Oder in einer verräucherten Bar irgendwo in Soho. Oder in einer Strandbar in Key West mit einem Mojito oder zwei. Bei einem Spaziergang im Regen, oder bei mir zuhause auf der Knautschecouch. Auf einer Zugfahrt oder in einem Heißluftballon. Egal. Ich hätte so viele Fragen.

Aber Dienstag bin ich einem schon ziemlich nahe: Gerbrand Bakker. Er hält eine Lesung. Leider nicht in meinem Wohnzimmer auf der Knautschecouch, sondern in der Stiftsbuchhandlung Maschmann in Nottuln, Stiftsplatz 10.

Er liest aus seinem Roman: Der Umweg.

Ich weiß auch schon, was ich ihn fragen werde.

Vielleicht sehen wir uns dort? 22.5.2012, 20 Uhr

Tante Lula

Tante Lula

Warum ich heute zu spät nach Hause kam und auch keine Brötchen mehr bekam:

Da war sie wieder. Die alte Frau beim Bäcker. Mit ihrem Rollator sitzt sie stets in der Kaffeebar des Supermarkts. Wieder die bunte Jacke. Wieder diese dunklen, wachen Augen. Heute war ich spät dran. Die alte Dame stand schon draußen unter dem großen Vordach. Es regnete in Strömen und sie zog die Regenhaube tiefer ins Gesicht. Ich grüßte sie wie immer. Schickte ein Lächeln durch den Regen zu ihr. Ein kurzer Gruß. Ein paar Floskeln über das Wetter. Und dann erzählte sie. Einfach so. Aus ihrem Leben vor langer Zeit. Damals in Oberschlesien. Ich bemerkte ihren Dialekt und konnte mir vorstellen, wie schön sie früher war. Jetzt waren ihre Beine dick und sie klagte über Asthma und Schmerzen. Aber nur kurz. Dann erzählte sie wieder von früher und ich staunte. Und hörte zu. Wir standen im Regen und der Wind zerrte an meinen Haaren. Aber das war egal. Sie erzählte von ihren Kindern. Weit weg. Von den Anrufen der Enkel. „Tante Lula“, sagen sie. Und Tante Lulas Augen lachen ganz still. Die alte Frau sagte, dass die Enkel sagen, dass sie sicher schon Alzheimer hätte. „Aber“, sagte sie, „das ist gar nicht so schlimm. Ich erinnere mich an alles. An die Flucht, an das Lager, an die Morde, an den Hunger. An eine Heimat weit weg und nicht mehr da. Ich erinnere mich an alles. Soviele Geschichten im Kopf. Auch nachts, wenn ich nicht schlafen kann. Nur was gestern war, was vorgestern: das weiß ich nicht.“

Tante Lulas Augen lachten. Ich fasste ihren Arm und sie nahm meine Hand. Für ein paar Sekunden standen wir einfach nur so da. Hand in Hand. Unsere Augen lachten. Dann gingen wir auseinander. Ich sah der kleinen Gestalt nach, die soviel erlebt hatte und hoffe, dass sie mich morgen wieder grüßt und mich nicht vergessen hat.