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Beobachtungen im Café

Beobachtungen im Café

An der Garderobe ist noch ein kleines Tischchen frei. Ich ziehe meine Jacke aus und schiebe das benutzte Geschirr zur Seite. Am Glas noch ein Lippenstiftrest.Magenta-Rot.Am Tisch nebenan zwei Rentner. Ganz langsam führen sie Gabeln mit winzigen Stückchen Torte zum Mund und nippen am Kaffee. Links von mir zwei Herren im Gespräch über Geld und Politik. Ich bestelle bei der netten Kellnerin, die trotz des Trubels noch ein echtes Lächeln auf den Lippen trägt. Der Cappuccino kommt auch bald und ich lehne mich zurück. Ein kleiner Junge läuft ausgelassen zwischen den Tischen hin und her und sein leicht überforderter Vater fängt ihn ein und setzt ihn sich auf den Schoß. Ein Mädchen und ein Opa gehören noch zu der Familie. Mit den Kaffeelöffeln spielen sie Mikado. Der Junge hat eine lustige, bunte Brille auf und das Mädchen trägt einen Zopf. Es ist älter als der Junge. Später dann kommen die Oma, die gar nicht wie eine Oma aussieht, und die Mutter vom Einkaufen zurück. Die Mutter setzt sich zu ihrer Familie an den Tisch. Der kleine Junge freut sich, das größere Mädchen hat einen Lolli im Mund und schaukelt auf dem Stuhl mit ihren Beinen. Sie schaut nicht auf die Mutter und auch nicht auf die Oma, die vor ihr steht, sondern nur auf die große Tüte, die diese dabei hat. Die Oma, mit dem modischen gegelten Kurzhaarschnitt und der roten Brille reicht freudestrahlend dem Mädchen die Tüte. Sie sagt etwas zu ihrer Enklelin, beugt sich zu ihr hinunter, umarmt sie, drückt ihr einen Kuss auf die Wange und wartet gespannt auf die Reaktion des Kindes.

Doch das Mädchen auf dem Stuhl lutscht weiter ihren Lolli und schaukelt gelangweilt mit ihren Beinen. Der Opa sagt was. Die Mutter sagt was. Der Vater, der Bruder. Ich kann nicht verstehen, was. Aber ich sehe, dass alle gespannt sind. Besonders die Oma, die nicht wie eine Oma aussieht, aber wie eine Oma ist. Wie wohl viele Omas sind: lieb. Das Mädchen hält nun mit der einen Hand den Lolli fest und mit der anderen zieht sie die bunte Tüte auseinander. Sie schaut kurz hinein und macht sie wieder zu. Sie schaukelt weiter mit den Beinen und lutscht gelangweilt an ihrem Lolli. Die Oma fragt etwas. Das Kind antwortet nicht. Die Oma nimmt die Tüte und zieht das, was darin ist, etwas heraus. Es ist eine große Puppe mit braunen Haaren , die in einen großen, vorne durchsichtigen Karton steckt. Das Mädchen schüttelt den Kopf und zeigt auf das Haar der Puppe. Die Oma redet weiter auf das Mädchen ein, doch es antwortet nicht. Die anderen am Tisch spielen jetzt mit dem Jungen, der Opa studiert die Speisekarte. Die Oma, die liebe, die gar nicht aussieht wie eine Oma, setzt sich. Unsere Blicke treffen sich. Nur ich sehe ihre Enttäuschung, ihre Traurigkeit.

Ringsum das Leben. Die Rentner essen, reden aber nicht. Die Herren am Nachbartisch diskutieren immer noch und die Familie ist ganz Familie.

Ich rufe die Kellnerin und bezahle. Beim Herausgehen aber sehe ich, wie der kleine Junge quietschend und voller Begeisterung die Verpackung aufreißt und die schöne Puppe mit den langen, braunen Haaren an sich drückt. Er küsst und küsst sie und lässt sie nicht mehr los.

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