Aber mein Wellensittich liebt mich

Aber mein Wellensittich liebt mich

Kalt und zugig ist es auf dem Weihnachtsmarkt.

So gar nicht gemütlich. Einfach nur nass und regnerisch.

Katharina Wieland Müller/ PIXELIO.de

Mir kommt eine ältere Dame mit einem Trolley entgegen. Umständlich zieht sie das Wägelchen hinter sich her. Der Wind zerrt an ihrem Schirm. Ich versuche, ihr auszuweichen, doch da fährt sie mir schon über die Füße. Ich lache. Weil ja bald Weihnachten ist. Und weil die Frau einen lustigen Schirm hat. Mit lauter Elchen darauf.

Die alte Frau lacht. Bleibt stehen und einen kurzen Moment überlege ich, ob ich sie kenne. Aber ich bin mir dann sicher, dass ich sie nicht kenne. Doch die Frau stört das nicht. Sie erzählt, dass sie den Trolley von ihrem Sohn zu Muttertag geschenkt bekommen hat. Dass der Sohn in Seoul lebt. Dass er geschäfltich dort ist. Nur selten kommen kann. Dass er ihr aber immer Geld schicke für die Grabpflege ihres Mannes. Dass er so groß sei und ganz komisch aussehe mit seiner Baskenmütze. Auf einem Foto hat sie die gesehen. Und immer wieder beteuert sie, dass er schließlich sein Leben leben muß. Dabei glänzen ihre Augen ganz merkwürdig, obwohl sie lächelt.

Sie schaut an mir vorbei und ich setze an, weiterzugehen. Da sagt sie noch einmal, dass er sein Leben leben muß. Ich ahne, dass der Sohn dies wohl schließlich auch über Weihnachten in Seoul tun wird. Dass es ein einsames Weihnachten für sie als Mutter werden wird.

Ein Elch auf dem Schirm hat eine rote Nase. Ein dicker Regentropfen landet genau darauf.

„Aber“, sagt sie und legt mir ihre Hand auf dem Arm und lächelt, „aber mein Wellensittich, der liebt mich“.

Dann zieht sie den Schirm vor das Gesicht und geht mit ihrem Trolley weiter und ich bleibe zurück und denke an das Leben, das man leben muß. Zu Weihnachten und überhaupt!

® Sine

 

 

 

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